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Leseprobe aus „Never play with fire, Mr. Ambitious https://www.amazon.de/dp/B0BHTWJLC6

Cynthia

Verunsichert sah ich Ryan hinterher und grübelte über seine Worte. Ich wollte ihm einen kleinen Vorsprung geben, nicht, dass die anderen uns noch unterstellten, gemeinsam hergekommen zu sein.

Ryan und ich? Einfach lachhaft! Genau in diesem Moment tanzten die unanständigen Bilder meines Traums vor meinem geistigen Auge herum. Die konnte ich nun wahrlich nicht gebrauchen. Dazu kam, dass ich mich über mein wild pochendes Herz ärgerte. Das kam sicherlich nur davon, weil er mich gerade irritiert hatte. Wo kurz zuvor noch der blanke Hass auf mich in seinen Augen gefunkelt hatte, blitzten kurzzeitig Wärme und Zuneigung auf.

Als wir Kinder waren, hatte Ryan meine Mutter verehrt, was auch kein Wunder war, weil sie sich immer für Brian und ihn interessiert hatte. Genau dieser Umstand hatte mich fürchterlich geärgert. Natürlich war ich eifersüchtig gewesen. Ich war das Nesthäkchen, aber Mom hatte es immer so dargestellt, als wäre das Ryan, natürlich war er jünger, aber er gehörte nun einmal nicht zur Familie. Brian ging als Caydens Zwillingsbruder durch, was mich nie gestört hatte. Aber, dass Ryan mir meine Position streitig gemacht hatte, degradierte ihn damals automatisch zum Hassobjekt Nummer eins.

Je mehr ich ihn geärgert hatte, desto mehr stellte sich meine Mutter auf seine Seite. Aber damit bekam ich wenigstens etwas Aufmerksamkeit, denn neben Christina, meiner ältesten Schwester, waren wir alle untergegangen.

Schwungvoll schüttelte ich meinen Kopf und mein etwas über kinnlanger Pagenschnitt flog mir um die Ohren. Die neue Frisur fühlte sich gut an. Dass Ryan sich darüber nicht geäußert hatte, verwunderte mich nicht. Dieser Neandertaler würde nicht einmal mitbekommen, wenn ich mir eine Glatze schnitt. Wütend kniff ich die Lippen zusammen, die ich eilig wieder öffnete, als mir die Haushälterin die Tür öffnete.

Anscheinend hatte Cayden sich durchgesetzt, weil Samantha am liebsten auf Angestellte verzichten würde, kamen sie normalerweise nur unter der Woche. Aber nachdem heute eine große Party stattfand, schien Samantha vernünftig zu sein. Ich konnte das überhaupt nicht verstehen, aber irgendwann hatte ich widerwillig anerkennen müssen, dass es ihr wohl wirklich nicht um Caydens Geld ging. Samantha war eine dieser Gutfrauen, die am liebsten die ganze Welt retten würden. Anstatt sich ihres Lebens zu freuen, begann sie ein kräfteraubendes Studium, das sie an ihr Limit brachte. Aber so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte sie nicht hassen. Nicht mehr. Samantha war einer dieser Menschen, die jeder mochte. Sogar so verkorkste, misstrauische Personen wie mich hatte sie um den Finger gewickelt. Um diese Fähigkeit beneidete ich sie wirklich. Und um ihr Glück mit Cayden. Den bezaubernden Tommy durfte ich natürlich nicht vergessen. Himmel, was wurde ich gerade rührselig. Reiß dich mal zusammen, Cynthia.

Nachdem ich meinen Bruder und Samantha begrüßt hatte, machte ich einen Rundgang durch die verschiedenen Räume der großzügigen Stadtvilla. Ein paar Gesichter kannte ich nicht, aber die meisten hatte ich schon bei verschiedenen Events getroffen. Aber ich könnte nicht behaupten, dass mir Caydens Freunde nahestanden. Dafür war ich ein viel zu komplizierter Charakter. An Caydens Stelle wäre ich auch genervt von mir.

Hunter kannte ich natürlich besser, weil wir in derselben Firma arbeiteten. Und Brian sowieso. Mit den Freundinnen tat ich mich schon deutlich schwerer. Eigentlich war es mir egal, was andere über mich dachten, aber heute fühlte ich mich irgendwie seltsam verletzlich. Kurz gesellte ich mich zu den beiden und ihren Freundinnen, bei denen auch Sam stand, aber ich fühlte mich schnell überflüssig, weil ich nicht mitreden konnte. Alle waren miteinander befreundet und teilten gemeinsame Erlebnisse. Auch wenn Samantha versuchte mich einzubeziehen, blieb ich reserviert und sie gab schnell auf. Nachdem ich die kleine Runde verließ, trat ich auf den Balkon im ersten Stock, in dem der kleinere Ballsaal zu finden war. Ich liebte diesen steinernen Rundbalkon. Cayden hatte ein Händchen für exklusive Anwesen. Unten tummelten sich zahlreiche Personen, ich schätzte, dass Cayden ungefähr fünfzig Gäste eingeladen hatte. Ich atmete ein paarmal tief ein und fühlte, wie die Anspannung von mir abfiel. Manchmal war es anstrengend sich vor anderen zu verstellen. Immer die Person zu mimen, die ich darstellen wollte. Eine karrierebezogene, von sich überzeugte Persönlichkeit, die über den Dingen stand. Der niemand etwas anhaben konnte, weil meine Schutzmechanismen hervorragend reagierten. Das jahrelange Training machte sich bezahlt. Jetzt im Schutz der Dunkelheit konnte mich von unten niemand sehen. Die oberen Räumlichkeiten waren für die Party nicht eingeplant, aber ich kannte mich hier natürlich gut aus. Wahrscheinlich fiel außer Ryan sowieso niemandem auf, dass ich fehlte. Er hingegen hoffte wohl, dass ich schon verschwunden war, damit er seine Ruhe hatte. Genau in diesem Moment entdeckte ich ihn. Ein salopp gekleideter Mann klopfte ihm auf die Schulter und Ryan ging gut gelaunt weiter. Er wirkte zufrieden, es fehlte nur noch, dass er sich die Hände rieb. Ich kannte den anderen Typen nicht, keine Ahnung, was Cayden mit ihm zu schaffen hatte.

Jetzt trat er knapp unterhalb der Brüstung ins Licht und ich hatte eine hervorragende Sicht auf ihn. Eine Servicekraft kam an ihm vorbei und er nahm sich einen Aperitif. Natürlich blieb er nicht lange allein. Warum auch immer, Ryan war wie das Licht für die Motten. Irgendwie zog er die Menschen magisch an, obwohl er genauso wie ich nicht darauf erpicht war, beliebt zu sein. Fast könnte man meinen, dass wir uns ähnelten, was natürlich Quatsch war. Wir hatten keinerlei Gemeinsamkeiten, ich sollte gar nicht erst damit anfangen, wer konnte schon wissen, wohin uns das führte?

„Du siehst so zufrieden aus, kleiner Bruder.“ Brian war zu ihm getreten und Ryan grinste. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich ihn so gut wie nie lächeln oder gar lachen sah. Wenn er mir begegnete, sah er wohl nie einen Grund zum Lachen, mir ging es ja nicht anders.

„Marc ist ein cooler Typ, wenn du ihn so siehst, würdest du nicht meinen, dass er bei einer der angesagtesten Großkanzleien in LA arbeitet.“

„Konnte er dir weiterhelfen?“

„Na ja, ich muss das allein schaffen, aber die richtigen Kontakte können nie schaden. Und er hat mir angeboten, dass ich mich bei ihm melden darf, wenn ich Fragen habe.“

„Das klingt doch super.“ Brian freute sich aufrichtig für seinen Bruder, das konnte ich erkennen und ich durchlebte gemischte Gefühle. Warum füllte sich mein Bauch mit Wärme, als ich erfuhr, dass es beruflich für Ryan zu laufen schien? Das Gegenteil müsste doch der Fall sein. Ich wünschte ihm, dass er auf die Nase fiel und versagte.

Das kleine Stimmchen in mir wisperte zu deutlich, dass das eine Lüge war. Insgeheim gönnte ich es ihm, weil er hart dafür arbeitete.

Ruhe jetzt! Das konnte doch nicht wahr sein. Seit wann hatte ich begonnen, gegenüber Ryan wohlmeinende Gefühle, gleich welcher Art zu verspüren? Während ich über das Durcheinander in meinem Inneren grübelte, schreckte ich hoch, als Brian fragte: „Bist du Cyn schon über den Weg gelaufen?“

Schlagartig war Ryans gute Laune verschwunden und er zog eine Grimasse, die für mich nicht sonderlich schmeichelhaft ausfiel. Trotzdem war ich neugierig zu erfahren, was er nun alles über mich ausplaudern würde. Das versprach interessant zu werden. Dass ich sie belauschte, war mir nicht im Mindesten unangenehm.

„Draußen im Hof“, knurrte Ryan und sein Bruder war schlau genug, um daran zu erkennen, dass es nicht sonderlich gut gelaufen war.

„Oje, das klingt unangenehm. Aber hey, sieh es positiv, du bist nicht postwendend abgehauen.“

„Als ob ich mich von dieser Bitch vertreiben lassen würde. Soll sie ruhig ihr Gift versprühen, irgendwann wird sie schon noch erkennen, wie hässlich es sie erscheinen lässt. Spätestens wenn der glanzvolle Lack abgeblättert ist, wird ihre echte Visage erscheinen. Dann kann sie nicht mehr überdecken, was für ein intrigantes Miststück sie ist. Was bleibt ihr dann noch?“

Okay, ich konnte es nicht leugnen. Obwohl ich mir so etwas Ähnliches schon gedacht hatte, tat es weh. Überraschend weh.

„Ach komm. Du übertreibst. So schlimm ist Cyn gar nicht. Du lässt dich viel zu schnell reizen. Sie weiß genau, auf welches Knöpfchen sie drücken muss und du tust ihr auch noch jedes Mal den Gefallen. Könnt ihr nicht einfach mal in Ruhe miteinander reden? Ganz vernünftig?“

Ryan lachte so laut, dass sich mehrere Umstehende zu ihm umdrehten. Er hielt sich den Bauch und sogar Brian konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Vernünftig reden? Mit Cynthia? Wie viel hast du heute Abend schon gesoffen?“ Er schüttelte erheitert den Kopf, hatte sich allerdings etwas beruhigt.

„Okay, das war ein dummer Rat. Geh ihr einfach aus dem Weg. Ich mag Cyn und finde es langsam albern, dass ihr immer noch diese Kindheitsfehde ausfechtet.“

„Sag das doch ihr und nicht mir“, schoss Ryan wütend zurück, der wohl langsam die Contenance verlor. Aber irgendwie musste ich ihm rechtgeben. Aus seiner Sicht hätte ich dasselbe gesagt.

„Du kennst doch Cyn. Sie hört auf niemanden. Da hätte nicht mal Cayden eine Chance, damit sie ihre Meinung ändert. Das musst du schon selbst schaffen.“

Ryan fuhr sich durchs Haar und diese Geste sah absolut sexy aus. Himmel, was war nur mit mir los? Der kleine Junge da unten, der sich nicht einmal ordentliche Klamotten leisten konnte, war nicht attraktiv. Ganz und gar nicht!

Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich Brian mochte? Nicht nur duldete und tolerierte, sondern wirklich wohlwollende Gefühle für ihn hegte?

Nicht? Dann sollte ich das wohl nachholen. Er hatte mich immer so genommen wie ich war. Obwohl ich echt fies zu seinem Bruder war, hatte er immer um Verständnis für mich geworben. Er hatte mich einfach so akzeptiert wie ich war. Manchmal kam es mir so vor, als könnte er in meinen Kopf sehen. Ob ich das jetzt gut finden sollte? Das wusste ich selbst nicht so genau. Aber es tat etwas mit mir, machte mich weicher und nachgiebiger, auch wenn diese Effekte für die Außenwelt nicht sichtbar wurden.

In diesem Moment sah Ryan plötzlich hoch und ich zuckte erschreckt zurück. Mein Herz pochte ziemlich laut und ich bekam zu wenig Luft. Hatte er mich gesehen? Ich hatte mich vielleicht ein wenig zu weit vorgebeugt, in dem Bemühen die beiden zu belauschen. Möglichst leise trat ich mit meinen Pumps vorsichtig erst einen, dann zwei Schritte zurück in die rettende Dunkelheit, peinlich bemüht, kein Geräusch zu machen. Dann erst kam ich auf die Idee, die Schuhe auszuziehen. Endlich stand ich weit genug weg, wo mich von unten niemand mehr sehen konnte.

Hoffentlich hatte er mich nicht bemerkt. Wobei streng genommen war es doch er, der sich Gedanken machen müsste, was ich mit den Informationen anfangen könnte, die ich gerade zugespielt bekommen hatte. Warum hatte er den Kopf gehoben? Hatte er etwas gehört oder war es reine Intuition gewesen?

Eigentlich sollte ich zusehen, mich erneut unter die Leute zu mischen, aber irgendwie fehlte mir der Elan. Ich wollte keinen gezwungenen Small Talk halten, das tat ich doch sonst schon den lieben langen Tag. Selten interessierte mich ein Gesprächspartner wirklich, weil sie mich langweilten. Daher blieb ich einfach an Ort und Stelle und richtete meinen Blick auf den kleinen Park, anstatt die großzügige Terrasse. Ich ertappte mich dabei, am liebsten dorthin zu stürmen und einen Spaziergang zu machen. Dann würde ich vielleicht endlich wieder Luft bekommen. Weit weg von der Abendgesellschaft mit den Gästen, die mich schlichtweg langweilten, ein paar Ausnahmen mal abgesehen.

Was genau tat ich eigentlich hier? In dieser geselligen Runde wurde mir meine eigene Einsamkeit doch noch brutaler aufgezeigt als allein zu Hause. Dort könnte ich mir einreden, dass ich sie selbst gewählt hatte. Hier war die Situation eine andere. Egal mit wie vielen Leuten ich heute Abend auch sprechen würde, die Leere in mir konnte niemand füllen. Kein Wort dieser Welt könnte sie irgendwie ins rechte Lot bringen.

Das ist doch nichts Neues, hör auf, dich selbst zu bemitleiden, Cyn.

Wenn ich etwas besonders hasste, dann war das Schwäche, also hob ich die Schultern, richtete mich etwas mehr auf und beschloss, mir einen ordentlichen Drink zu genehmigen. Dann würde die Welt gleich anders aussehen. Als ich mich mit dem guten Vorsatz umdrehte, schrak ich erneut zusammen. Herrje, ich würde heute Abend noch an einem Herzinfarkt sterben. Aber wenn ich vorher schon dachte, dass mein Herz schnell schlug, dann war es mir nun kurzzeitig stehengeblieben, um anschließend davonzurasen.

Mir wurde schlecht und ich hielt mich heimlich mit einer Hand am Geländer fest, weil ich sonst den Halt inmitten meiner Drehung verloren hätte.

Das Überraschungsmoment lag auf seiner Seite, es war noch nie vorgekommen, dass mir die Worte fehlten. Aber gerade war mein Gehirn wie leergefegt und ich starrte ihn wie eine Bekloppte an.

Jede Sekunde, die er verstreichen ließ, führte dazu, dass der Sauerstoff in meiner Lunge knapper wurde. Schließlich konnte ich schlecht vor ihm nach Luft schnappen. Fast kam es mir unwirklich vor, hier im Dunklen zu stehen und uns einfach nur anzusehen.

Da setzte sich Ryan in Bewegung und trat näher. Er kam mir viel zu nah und ich hätte ihm am liebsten angeherrscht, mich allein zu lassen und nicht zu nerven.

Aber kein einziges Wort rutschte mir über die Lippen. Kurz vor mir blieb er stehen, er konnte mich berühren, wenn er wollte. Obwohl nur der Mondschein sein Gesicht beleuchtete, erkannte ich, dass er angespannt aussah. Und irgendwie besorgt? Das gab mir Rätsel auf und ich hasste es, wenn ich nicht den Durchblick hatte. Plötzlich erfasste mich Panik, dass er mir irgendeine Hiobsbotschaft überbringen wollte.

„Ist was mit meinem Bruder oder Tommy?“, krächzte ich und erkannte meine eigene Stimme nicht mehr.

Ryan riss die Augen auf und es dauerte einen Moment, bis er antwortete.

„Wie kommst du denn darauf? Ich nehme an, Tommy schlummert selig, seine Nanny passt bestimmt gut auf ihn auf und Cayden steht dort hinten.“ Ryan wies in eine unbestimmte Richtung und ich machte mir nicht die Mühe, der Geste zu folgen. Erleichterung durchfuhr mich und zugleich fühlte ich mich ertappt, dass ich mir Sorgen gemacht hatte, was total lächerlich war.

„Cyn, was ist los?“ Okay, jetzt verlor ich wirklich den Verstand. So sanft und irgendwie anteilnehmend hatte Ryan noch nie gesprochen und schon gar nicht mit mir. Und seit wann nannte er mich eigentlich Cyn?

„Mir geht es blendend. Wie kommst du darauf?“, schnappte ich in gewohnter Manier zurück und fühlte mich seltsam erleichtert, vertrautes Terrain erreicht zu haben.

„Seit wann versteckst du dich auf dunklen Balkonen, um allein zu sein? Du stehst doch sonst auch immer im Mittelpunkt. Und dann belauschst du auch noch meinen Bruder und mich.“

Jetzt klang er ebenfalls wieder wie gewöhnlich, immer mit dieser ordentlichen Portion Gereiztheit im Unterton.

„Ich mag diesen Ort.“ Dieser schlichte Satz brachte ihn aus dem Konzept. Aber ich gab ihm damit eine Information über mich in die Hand, was ich normalerweise tunlichst unterließ. Ryan sollte nichts über mich in Erfahrung bringen, ich sollte weiterhin undurchschaubar für ihn bleiben.

„Ich wollte euch nicht belauschen. Aber ich kann doch nichts dafür, wenn ihr euch ausgerechnet unter den Balkon stellt, um über mich zu lästern.“ Lieber schob ich ihm die Schuld in die Schuhe.

Wieder traf mich ein rätselhafter Blick und Ryans Gesichtszüge blieben unberührt. Es schien ihm nicht peinlich zu sein, aber andererseits war es auch keine Überraschung, dass er mich nicht leiden konnte.

„Ich habe gelästert, Brian nicht, aber das weißt du ja selbst“, sagte er schließlich.

„Das passt dir nicht.“ Ich legte den Kopf schief und betrachtete ihn. „Es wäre dir lieber, Brian würde sich wie ein kleines Hündchen auf deine Seite schlagen, nur aus reiner Loyalität, weil du das für ihn tun würdest. Aber du hattest ja noch nie eine eigene Meinung. Brian ist einfach charakterstärker als du.“

„Gott, Cynthia, kannst du nicht einfach mal damit aufhören? Du musst dir doch selbst unsäglich auf den Zeiger gehen mit deinem Zynismus und dieser Negativität.“

Ich hob die Hände und blieb äußerlich ganz ruhig, während es in mir brodelte wie in einem Vulkan, der jeden Moment ausbrechen könnte.

„Du bist es doch, der mich in meiner Ruhe stört. Keiner hat dich gebeten, dich mit mir abzugeben. Also tu mir doch einfach den Gefallen und lass mich in Ruhe.“

Ryan streckte seine Hände aus und griff nach meinen Handgelenken. Völlig perplex ließ ich es geschehen und wunderte mich über das Kribbeln auf der Haut. Fast unbeteiligt wie eine Außenstehende versuchte ich es analytisch zu erklären, während es in meinem Kopf immer mehr schwirrte. Mir wurde schwindlig und ich schwankte. Plötzlich spürte ich Ryans Hand an meiner Taille und ich lehnte mich ein wenig an ihn. Weil sich körperliche Nähe so gut anfühlte, wenn man sie so selten erhielt. Meine Augen klappten zu und ich atmete seinen unverkennbaren Geruch ein. Ryan hatte schon immer gut gerochen. Frisch und natürlich, als wäre er gerade einer Gebirgsquelle entsprungen. Ich schwankte erneut und sein Griff wurde fester.

„Alles okay, Cyn?“ Sein Mund befand sich dicht an meinem Ohr und ich spürte den leichten Lufthauch als er sprach, was mir eine Gänsehaut bescherte. Irgendwie zwang ich mich, die Augen zu öffnen und verlor mich in der Tiefe seiner türkisfarbenen Augen, die mich unverwandt anstarrten. Es wirkte, als würde Ryan versuchen, in mir zu lesen. Als wäre es ihm ein Bedürfnis, mich zu verstehen. Plötzlich ähnelte er seinem Bruder und ich erkannte erstmals einen menschlichen Zug an ihm.

Ich stemmte mich gegen seinen Brustkorb und er ließ mich augenblicklich los. Sofort vermisste ich seine Umarmung und ich musste ein paarmal schlucken, um die Bitte nicht auszusprechen, mich wieder in den Arm zu nehmen. So tief würde ich niemals sinken, und wenn er der einzige Mensch auf Erden wäre.

„Mir war nur einen Moment lang schwindlig. Ich habe nichts gegessen und zu viel getrunken.“ Eigentlich hatte ich nur den Aperitif getrunken, aber das wusste Ryan ja nicht.

„Setz dich!“ Noch nie hatte Ryan so harsch mit mir geredet. Er wies mit dem Kinn auf eine Sitzgruppe neben mir und ich folgte automatisch, weil meine Knie aus Pudding bestanden.

„Ich hole dir schnell ein paar Häppchen. Wehe, du sitzt hier nicht mehr, wenn ich zurückkomme.“ Beinahe war ich versucht nachzufragen, was geschehen würde, wenn ich seiner Drohung nicht Folge leistete, aber irgendwas hielt mich davon ab, weil ich mir sicher war, es lieber nicht herausfinden zu wollen.

Während ich ihm nachsah, bis er ins Innere verschwand, versuchte ich meine Gedanken stillzulegen. Ich wollte nicht darüber nachdenken, warum es Ryan sich zur Aufgabe machte, sich um mich zu kümmern. Und noch weniger wollte ich wahrhaben, dass sich seine Sorge so wohlig warm wie seine Umarmung anfühlte.

Stattdessen sollte ich mich lieber darauf einstellen, dass er entweder Cayden oder eine Angestellte vorbeischickte, um mir einen Teller zu bringen. Das würde eher zu ihm passen. Immerhin würde ich mich nie im Leben um ihn kümmern, egal wie dreckig es ihm ging. Oder, Cynthia? So lauteten doch die Regeln.

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