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Leseprobe:

Nachdem sie die Schlittschuhe abgegeben hatten, standen sie an einem Glühweinstand und wärmten ihre Hände an dem Heißgetränk.
„Ehrlich gesagt, hätte ich ja nicht gedacht, dass wir das ohne Sturz überstehen“, gab Sonja zu, bevor sie an ihrem Glühwein nippte.
„Das hat echt Spaß gemacht, von mir aus können wir das gern wiederholen“, sagte Ramon lächelnd. Sonja betrachtete ihn prüfend und er hätte gern gewusst, was sie gerade dachte.
Ein Muskel zuckte in ihrem Gesicht, dann überraschte sie ihn, indem sie sagte: „Du bist ein draufgängerischer Typ, ohne das Risiko aus den Augen zu verlieren. Du weißt genau, was du dir zutrauen kannst, ohne andere in Gefahr zu bringen.“ Natürlich bezog sie das auf ihre Beobachtungen auf dem Eis, aber für ihn war es die perfekte Analyse über sein Verhalten im Auftrag des Clubs. „Ich würde nie riskieren, dass dir etwas passiert.“ Seine Stimme klang kratzig und Sonja atmete ziemlich laut.
Aber anstatt darauf einzugehen, trank sie einen weiteren Schluck und gestand: „Nach dem Becher bin ich wahrscheinlich betrunken. Ich trinke eigentlich keinen Alkohol.“ Obwohl die Aussage vordergründig harmlos klang, spürte Ramon die Dringlichkeit dahinter. Sonja hatte ihm gerade etwas sehr Wichtiges mitgeteilt, er musste den Text nur richtig interpretieren. Um Zeit zu schinden, trank er selbst einige Schlucke, ließ sie aber nicht aus den Augen und betrachtete sie über den Rand seiner Tasse hinweg.
„Hat das was mit deiner Vergangenheit zu tun?“, wagte er sich vorsichtig heran und erkannte sofort, dass der Schritt für Sonja zu groß gewesen war. Sie stieß einen leisen Seufzer aus, der ihn sofort auf Rückzug gehen ließ. Beschwichtigend hob er beide Hände, wobei ihm ein Teil des Getränks überschwappte.
„Sorry, das geht mich gar nichts an. Schmeckt es dir denn überhaupt oder willst du lieber einen Kinderpunsch?“ Sie ging auf seinen Beschwichtigungsversuch nicht ein, sondern blieb stumm. Ihre Hände zitterten leicht, die beide die Tasse umklammert hielten.
„Ja. Ich habe einmal den Fehler gemacht, zu viel zu trinken und …“ Sonja schluckte mehrmals und er erkannte, wie viel Überwindung sie das kostete. „Egal, auf jeden Fall war es mir eine Lehre und seitdem habe ich die Finger davon gelassen.“ Heute würde sie nicht mehr sagen, aber das war gar nicht nötig. Ramon biss die Zähne zusammen, weil er sich schon zusammenreimte, was ihr zugestoßen war. Die Wut schoss ihm so schnell durch die Adern, dass er am liebsten etwas zerstört hätte. Aber gerade war nur Sonja wichtig, die leichenblass neben ihm stand. Wahrscheinlich bereute sie ihre Offenheit. Er sah, dass gerade am Stand nichts los war, nahm Sonja den Becher aus der Hand und bestellte ihr einen Kinderpunsch.
Als er ihr die neue Tasse reichte, brummte er: „Du hättest es mir auch einfach sagen können.“
„Ich wollte einfach mal normal sein. Einen Glühwein mit einem Freund trinken und nicht schon wieder eine Sonderrolle einnehmen. Oder soll ich besser sagen, die Rolle des Sonderlings?“ Sie lachte, aber es klang gekünstelt und das gefiel ihm nicht.
„Mein ältester Freund ist trockener Alkoholiker. Mit ihm geht das auch nicht. Dann trinken wir eben eine Coke. Was soll`s?“ Er zuckte lässig mit den Achseln und spürte Sonjas brennenden Blick, dem er nun nachgab. „Das nächste Mal trinke ich eben auch so ein Zeug. Lass mich mal probieren.“ Er nahm der verdutzten Sonja den Becher aus der Hand und trank einen Schluck. „Schmeckt gar nicht so übel. Ich nehm auch noch so einen“, sagte er in Richtung des Budenwirts und stieß kurz darauf mit Sonja an.
„Du bist süß.“
Nun kratzte er sich verlegen am Kopf. Süß war er schon wirklich lange nicht mehr bezeichnet worden. Nicht einmal seine Mutter hatte ihn süß gefunden. „Wirst du gerade rot?“ Sonjas Stimme klang nicht belustigt, sondern erstaunt. „Irgendwie ist mir das peinlich. Vielleicht.“ Sonja legte den Kopf schief und am liebsten würde er sie jetzt einfach küssen.
„Am Anfang hast du einen sehr schüchternen Eindruck auf mich gemacht, aber je länger wir uns kennen, desto mehr zweifle ich daran.“ Shit, das kam unerwartet, obwohl er damit hätte rechnen müssen. Trotzdem schaffte er es einfach nicht, Sonja etwas vorzuspielen. Bevor er etwas sagen konnte, fragte sie neugierig: „Kann es sein, dass du nicht gern vor einer Gruppe sprichst?“ Damit lieferte sie ihm eine gute Erklärung.
„Das könnte sein. Irgendwie komme ich mir immer blöd vor, wenn mich alle anstarren.“ Das war noch nicht einmal gelogen, aber lag wohl eher der Tatsache zugrunde, weil er alle in der Gruppe belog und damit zunehmend ein Problem hatte. „Vielleicht ist so eine Gruppensitzung einfach nicht mein Ding. Ich dachte mir, ich probiere das einfach mal aus.“
„Wie bist du eigentlich darauf gekommen?“ Wieder durchfuhr ihn ein unguter Blitz, der ihm klarmachte, dass er gerade Schiss hatte, sich zu verraten. „Ich habe im Internet recherchiert und bin dann einfach vorbeigefahren und dort hat mich Gabriella zufällig gesehen und angesprochen. Und die Idee gefiel mir. Der Schritt ist ja eh groß und irgendwie erschien es mir einfacher, als eine richtige Therapie zu beginnen.“ Fuck, es fühlte sich so falsch an, Sonja zu belügen und nun auch noch ihre mitfühlende Miene zu sehen, war echt nur schwer zu ertragen. Als sie ihm aber die Hand auf die Schulter legte, zerriss es ihn beinah. Die erste aktive Berührung, die von ihr ausging, lag einer Lüge zugrunde. Aber jetzt war er so weit gegangen, er konnte nicht mehr umdrehen, um einen neuen Weg einzuschlagen. Es half nichts, er musste ihn zu Ende gehen. Obwohl es der Falsche war, konnte er nur hoffen, dass er ihn dennoch ans Ziel brachte. „Du musst das ja auch nicht durchziehen, wenn es sich für dich nicht richtig anfühlt.“
„Mir fällt es schwer, das einzuschätzen. Du bist dort, allein deshalb nehme ich gern an den Sitzungen teil, aber ich komme mir komisch vor, mir alles anzuhören und nie den Mund aufzumachen.“ Er schenkte ihr eine klägliche Grimasse und zu seiner Freude ließ Sonja ihre Hand weiterhin auf seiner Schulter liegen.
„Quatsch. Das ist für alle in Ordnung. Jeder hat ein anderes Tempo. Vielleicht magst du mit mir irgendwann darüber reden?“ Nun schenkte sie ihm so ein süßes Lächeln, dass er sich automatisch vorbeugte und ihr ein Wangenküsschen gab, bevor er überhaupt begriffen hatte, was er da tat. Sonja schnappte nach Luft, trat aber keinen Rückzug an, was ihn übermütig grinsen ließ. „Wofür war das denn jetzt?“
„Fürs Zuhören und Aufmuntern.“ Vorsichtig drehte er sich, was leider zur Folge hatte, dass sie ihm nun doch die Hand entzog. Er näherte sich ihr ein klein wenig und gestand: „Am liebsten hätte ich dich richtig geküsst, aber da ich befürchte, mir eine Ohrfeige einzuhandeln, lasse ich es lieber, bis du mir eine Erlaubnis gibst.“ Sonja schlug sich die Hand vor den Mund und trat einen Schritt zurück. Ihr Verhalten ließ ihn zur Besinnung kommen. „Du weißt, dass ich nie etwas tun würde, wozu du nicht bereit bist.“
Sonja schenkte ihm ein Lächeln, das etwas unsicher ausfiel. „Das weiß ich“, flüsterte sie.
„Es kann ja auch ein nonverbaler Hinweis sein.“ Ramon zwinkerte ihr vergnügt zu. „Irgendein Hinweis, damit ich weiß, dass ich keine Grenze überschreite.“ Sonja sah ihn gerade so sehnsüchtig an, dass er sich sicher war, dass sie sich genau jetzt den Kuss wünschte, aber irgendetwas hielt ihn zurück, eine Dummheit zu begehen. Um ihr Bedürfnis aber irgendwie zu erfüllen, legte er ihr ganz sacht den Arm um die Taille und ließ seine Hand auf ihrem Rücken ruhen. „Du bestimmst und ich halte mich daran. Versprochen.“
„Das klingt gut.“
Kurz standen sie eng nebeneinander da, bevor Ramon sich von ihr löste und bedauernd sagte: „Schon so spät. Ich muss leider los.“ Ihren neugierigen Blick ignorierte Ramon, weil er sie nicht schon wieder belügen wollte. „Ich rufe dich an“, versprach er ihr und ihr glückliches Lächeln begleitete ihn noch lange.

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