2. Kapitel
Luca
Ohne sich abzusprechen, hatten sie sich aufgeteilt und waren in Zweiergrüppchen vom Tatort geflohen. Als die Sirenen erklangen, waren die Black Demons reaktionsschneller gewesen als die verfeindeten Kontrahenten des Red Dragon Clubs und flotter auf ihren Bikes gesessen. Solche Vorgänge waren im Vorfeld bis ins kleinste Detail besprochen worden, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Die frühe Dunkelheit kam ihnen bei ihrer Flucht zugute.
Luca fuhr hinter Shadow, der einen umständlichen Umweg zum Clubhaus fuhr, damit die Streifenwagen nicht auf sie aufmerksam wurden. Wer konnte schon sagen, ob die Kleine nicht ihr Colour erkannt hatte und sie bei den Bullen verpfiffen hatte. Sie hatte einen regen Eindruck gemacht und Luca konnte sich gut vorstellen, dass es ihr Genugtuung verschaffte, sie anzuschwärzen. Was ihr nicht zu verdenken wäre, immerhin hatten sie das Café in Stücke gelegt.
Sobald sie weit genug vom Tatort entfernt waren, konnte ihnen niemand etwas nachweisen. Dann stand Aussage gegen Aussage. Trotz der Anspannung genoss er die Fahrt auf seinem Bike. Das Feeling, der Fahrtwind, die Motorengeräusche, all das liebte er. Mit ein paar Kumpels gemeinsam auf Tour gehen, was konnte es Schöneres geben?
Fast spürte er Enttäuschung, als sie vor dem Gebäude des Clubs anhielten. Die Wachposten hatten ihnen schon das Tor zur freien Durchfahrt geöffnet und schlossen es anschließend hinter ihnen. Ein rascher Blick auf die abgestellten Bikes sagte ihm, dass die meisten schon eingetrudelt waren.
„Na, dann wollen wir uns mal in die Höhle des Löwen wagen“, gab Shadow frech von sich. Sams Gebrüll war bis nach Draußen zu hören.
„Da scheint jemand schlechte Laune zu haben.“
Sie grinsten sich kurz verschwörerisch zu, denn beide waren der Meinung, dass Devil den kleinen Denkzettel mehr als verdient hatte.
Als sie den Clubraum betraten, sah Luca den Vorsitzenden aufgebracht vor dem kleinen Grüppchen umherlaufen. Immerhin gönnte er ihnen eine kurze Verschnaufspause und hielt für einen Moment die Klappe. Der alte Dielenboden knarzte, als sie herantraten. An den Wänden hingen Bilder verstorbener Mitglieder, aber davon waren sie heute glücklicherweise weit entfernt gewesen, auch wenn ein paar der Jungs ganz schön was abbekommen hatten. Nachdem ihm der erste Eindruck eine halbwegs gute Verfassung seiner Brüder vermittelt hatte, fiel ihm auf, dass Howie als einziger fehlte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, das nichts mit Sams Gebrüll zu tun hatte, der anscheinend die Pause zum Luft holen genutzt hatte und erneut loslegte.
„Was seid ihr nur für hirnamputierte Idioten? Ihr seid doch fast genauso blöd wie Randy, dieses Arschgesicht. War es das wirklich wert?“ Er wischte sich kurz über die Stirn. Luca ließ seinen Blick von Sam zu Devil wandern, der ziemlich runtergebügelt aus der Wäsche guckte. Geschah dem Hitzkopf ganz recht. Luca hatte sowieso keinen blassen Schimmer, warum ausgerechnet Devil zum Vizepräsidenten ernannt worden war. Immer wenn er Sam vertrat, geschah eine Katastrophe.
„Gratulation Devil, du hast es geschafft, uns wieder in den Fokus der Bullen zu rücken. Die letzte Zeit haben sie uns in Ruhe gelassen und wir konnten unser Ding durchziehen. Jetzt können wir uns wieder auf ständige Kontrollen gefasst machen. Das wird mich erneut eine Stange Geld kosten.“
Luca beschloss Sams Monolog zu unterbrechen und fragte in die Menge: „Hat einer von euch Howie gesehen? Er ist als einziger nicht zurückgekommen.“
Zuerst sah es so aus, als wolle Sam nun seine schlechte Laune an Luca auslassen, die gewitterumwölkte Stirn versprach nichts Gutes, dann schien er sich zu besinnen. Nachdem er selbst einen Blick auf die Gruppe geworfen hatte, fragte er Devil: „Hast du was mitbekommen?“ Als dieser den Kopf schüttelte, meinte der Präsident genervt: „Warum frage ich überhaupt?“ Devil zog den Kopf ein, als er die nächste Rüge erhielt. Denn es wäre seine Aufgabe gewesen, den Abzug zu beaufsichtigen.
„Die Bullen haben ihn einkassiert“, meinte Bomber leise. Der schüchterne Junge war noch nicht allzu lange dabei und war mittlerweile Prospect. Seine Aufgabe war es gewesen, auf die Bikes aufzupassen, während sie sich gestärkt hatten. Leider hatte der Junge gepennt oder hatte sich einschüchtern lassen und sie nicht rechtzeitig vor der Ankunft der anderen Gang gewarnt. Dafür gab es nachher sicherlich auch noch einen gewaltigen Anschiss.
„Du hast es gesehen?“, fragte Sam nach.
Bomber konnte nur nicken.
„Scheiße, damit ist klar, dass wir wirklich dort waren. Jetzt können wir uns nicht mehr so leicht rausreden. Wird nicht lange dauern, bis hier Besuch auftaucht.“
„Immerhin wurden im Gegenzug von den Red Dragons auch jemand verhaftet. Als ich mich nach Verfolgern umsah, haben sie einen von ihnen gerade in ein Polizeiauto verfrachtet. Das ist hoffentlich ein wenig Genugtuung für dich, Steel“, gab Luca grimmig von sich. Privat war der Präsident für ihn Sam, in seiner Rolle als Rocker hingegen benutzte er zumeist seinen Clubnamen Steel, umgekehrt verhielt es sich mit seinem Clubnamen Duke.
Sams verkniffener Mund verzog sich zu einem angedeuteten Lächeln. „Gut beobachtet, Duke.“ Der Blick wurde wieder frostig, als er sich erneut Devil zuwandte. „Warum waren die Bullen eigentlich so schnell da? Hast du was mitbekommen?“
Devil knurrte: „Nein, ich war damit beschäftigt, die Pisser kaltzumachen.“
Sams Blick wanderte zu Luca, der rasch sein Pokerface aufsetzte, als er mit den Schultern zuckte. Möglichst ungerührt erwiderte er Sams Blick. Innerlich sah es ganz anders aus. Sein Herzschlag hatte sich rasant beschleunigt, als er sich vorstellte, was passieren würde, wenn Sam oder Devil mitbekämen, dass die Kleine sie verpfiffen hatte. Trotz des Tumults hatte er sie gesehen, wie sie die Küche verlassen hatte. Am liebsten hätte er sie erneut gepackt und eigenhändig in Sicherheit gebracht, aber er war gerade beschäftigt gewesen, sich gleich zwei Widersacher vom Hals zu halten. Dennoch hatte er mitbekommen, wie sie sich das Handy geschnappt hatte. Er hatte keine Chance gehabt, Devil zu warnen. Die Red Dragons waren in der Überzahl gewesen und daher war an Flucht nicht zu denken gewesen.
„Eine der Mädels wird’s gewesen sein. Die wollten bestimmt ihr Café retten“, kombinierte einer seiner Kumpels schlau.
„Das müssen ja selten dämliche Weiber sein, sich mit uns oder den Reds anzulegen.“
Luca knirschte mit den Zähnen, bevor er herausbrachte: „Das glaube ich kaum. Die eine war noch ein halbes Kind und die andere war viel zu verängstigt.“
Sam winkte ab. „Lasst sie in Ruhe. Von ihnen geht keine Gefahr aus.“
„Die wurden schon genügend gestraft. Wir haben ihr Café komplett zerlegt“, wagte Luca einzuwerfen.
„Mir kommen gleich die Tränen“, höhnte Sam sarkastisch.
Luca verkniff sich einen weiteren Kommentar. Sams Laune war sowieso schon im Keller, er sollte ihn nicht zusätzlich reizen, sondern froh sein, dass er beschlossen hatte, die Mädels in Ruhe zu lassen.
Etwas später wurde die Versammlung aufgelöst, nachdem sie ein Bier zur Entspannung gekippt hatten, nicht ohne noch zu besprechen, wie sie mit Randys offenem Affront umgehen sollten. Sam war nicht bereit, auf seine Forderungen einzugehen. Den Kiez hatte er schon seit Ewigkeiten unter Kontrolle und Randy versuchte sich immer mehr reinzudrängen. Dreist und unverfroren hatte er zuerst seine Leute dort positioniert, um nun zu behaupten, sie hätten ein Vorrecht.
Sam blieb beherrscht, aber Luca befürchtete, dass der nächste Kampf vorprogrammiert wäre. Sam würde dieses Verhalten nicht länger tolerieren. Er hatte Randy viel zu lang tatenlos dabei zugesehen. Jetzt bekamen sie die Quittung dafür und mussten erst recht hart durchgreifen.
„Wir bekommen Besuch“, rief er nüchtern, als er durch das Fenster ein paar Bullen heranfahren sah. Anscheinend hatten die Helden am Tor, sich einschüchtern lassen. Das würde Steels Laune sicherlich nicht verbessern.
Die Bullen mussten unverrichteter Dinge abziehen, weil Howie geschworen hatte, allein unterwegs gewesen zu sein und sie natürlich sämtliche Vorwürfe abgestritten hatten. Es war beinah Mitternacht, als Luca endlich zu Hause ankam. Patricia schlief bestimmt schon längst. Verlangen stieg in ihm auf, als er an sein Mädel dachte, das gerade sein Bett wärmte. Vielleicht sollte er sie wecken und davon überzeugen, ihm etwas Gutes zu tun. Etwas Entspannung würde ihm jetzt sicherlich dabei helfen, wieder runterzukommen.
3. Kapitel
Lara
Die Tränen verhinderten die Sicht auf das Chaos. Dennoch war Lara nur zu bewusst, dass ihr geliebtes Café vollkommen zerstört war. Krampfhaft schluckte sie und blinzelte solange, bis die Tränen verschwunden waren. Es half ihr nun auch nicht weiter, wenn sie im Selbstmitleid badete. Sie zwang sich mit staksigen Schritten den Raum zu durchqueren, bis ihr Blick am Boden hängen blieb. Langsam ging sie in die Hocke und hob ein paar Scherben auf. Wieder wollten sich die Tränen mit aller Macht den Weg nach draußen bahnen, als sie die Bruchstücke einer ihrer Lieblingsdekorationen in der Hand hielt. Die Schildkröte hatte Lara von ihrer Mutter zur Eröffnung geschenkt bekommen und saß seitdem am Rand der Theke. Ein Teil ihrer Sammelleidenschaft, die sie schon seit Jahren pflegte. Es dauerte einen Moment, in dem sie einige Male tief durchatmen musste, bis sie sich wieder im Griff hatte. Sonja saß noch immer wie angewurzelt in der Küche und Lara wusste nicht, wo ihr der Kopf stand. Am liebsten hätte sie sofort begonnen, das Chaos zu beseitigen, nachdem die Polizeibeamten endlich gefahren waren, um ihrer Hilflosigkeit irgendwie Herr zu werden. Aber sie musste sich erst einmal um ihre Freundin kümmern. Zuerst würde sie Sonja nach Hause bringen. Aber sie konnte sie unmöglich dort alleine lassen. Sie war vollkommen verstört und benötigte nun ihre Zuwendung. Lara fühlte sich für ihren Zustand verantwortlich. Hätte sie Sonja doch bloß nicht gefragt, ob sie ihr aushelfen konnte. Dann wäre sie niemals in so eine Lage gekommen. Sie selbst hatte schon fürchterliche Ängste ausgestanden, wie musste sich Sonja erst gefühlt haben? Jetzt, wo das Adrenalin langsam nachließ, wurde ihr erst bewusst, in welch prekären Lage sie sich befunden hatten. Es hätte ganz anders ausgehen können, wenn ihr der Typ nicht geholfen hätte. Sie sollte froh sein, dass Sonja und sie glimpflich aus der Sache herausgekommen waren.
Lara riss sich mühselig von dem bitteren Anblick ihres Cafés los und betrat mit mechanischen Schritten die Küche. Sonjas Lächeln glich einer gequälten Grimasse, als sie zu ihr ging und ihr vorsichtig über den Arm strich.
„Lass uns nach Hause gehen. Heute kann ich nichts mehr ausrichten. Ich muss sowieso für unbestimmte Zeit schließen.“ Nun liefen ihr doch ein paar Tränen über die Wangen, die sie wütend wegwischte. „Laras Lieblinge“ war ihr Herzstück, für das sie so hart gekämpft hatte. Jeder hatte sie für verrückt erklärt, als sie schon kurz nach dem Abi beschlossen hatte, ein Café aufzumachen. Jetzt hatte sie endlich einen Großteil des Kredits abgezahlt, da passierte so etwas. Dafür kam doch keine Versicherung auf. Seit vier Jahren steckte sie jeden Cent und jede freie Minute in ihren Traum und nun war innerhalb weniger Minuten alles dem Erdboden gleichgemacht. Plattgewalzt. Lara fühlte sich gerade vollkommen überfordert. Sie wünschte sich gerade sehnlich jemanden, der sie an der Hand nahm und Schritt für Schritt durch das Chaos führte. Ihr eine Anleitung gab, mit dem Vorfall umzugehen, ohne den Kopf in den Sand zu stecken.
Sie seufzte, denn normalerweise war das ihr Part. Sie war die Kämpferin, die alle mit ihrem Enthusiasmus und ihrer Lebensfreude mitriss.
Sonja stand auf und umarmte sie. Sie hielten sich gegenseitig fest, um sich Trost zu spenden. Lara sammelte sich. Es half nichts, sie musste sich einen Plan erstellen. Als allererstes würde sie morgen einen Termin mit der Bank vereinbaren, um zu erfahren, ob sie einen erneuten Kredit erhielt. Es ging ja nicht nur um die Reparaturen, sondern auch um den Verdienstausfall, bis das Café wieder auf Vordermann gebracht wurde. Wer weiß, wie lange das dauern würde. Der Polizeibeamte, der sie befragt hatte, hatte ihr nicht allzu große Hoffnungen gemacht und Lara wusste momentan auch gar nicht, ob sie wirklich den Mut besitzen würde, gegen die Jungs auszusagen. Wirklich viel hatte sie nicht zu sagen, allenfalls die beiden Anführer und den Typen, der ihr geholfen hatte, würde sie wahrscheinlich wiedererkennen.
„Komm wir gehen heim.“ Lara warf noch einen letzten Blick in den Raum, bevor sie das Licht ausmachte und die Zerstörung in Dunkelheit hüllte.
Drei Stunden später hatte sich Sonja in ihr Zimmer zurückgezogen, nachdem sie Lara noch eine Weile Gesellschaft geleistet und sie sich mit einer Serie versucht hatten abzulenken. Jetzt erdrückten sie die eigenen vier Wände ihres Zimmers und sie öffnete das Fenster, um etwas frische Luft hereinzulassen.
Kurzzeitig tat es ihr gut, aber nach zehn Minuten kühlte die frische Herbstluft das Zimmer gewaltig und seufzend schloss sie es wieder. Sie hatte vorhin mit ihrem Versicherungsmakler telefoniert, den sie zum Glück so spät noch erreicht hatte. Aber er hatte ihr leider schlechte Nachrichten verkündet. Ihr Tarif deckte keine Vandalismus-Schäden ab, diese hätte sie extra versichern müssen. Angezogen ließ sie sich aufs Bett fallen und gestattete es sich für einen Moment, sich selbst zu bemitleiden. Warum hatte es ausgerechnet ihr Café treffen müssen? Es war doch schon unglaublich schwierig, das ganze Projekt alleine zu stemmen, und gerade fühlte sie sich vollkommen überfordert, ihr Café jemals wieder zu eröffnen.
Hastig schloss sie die Augen. Lara hasste es, zu weinen. Sie wollte keine Schwäche zeigen. Anschließend würde sie sich weder besser fühlen, noch würde es irgendetwas an ihrer verfahrenen Situation ändern.
Zwar schaffte sie es, die Tränen zu unterdrücken, was man von den unschönen Bildern ihrer Erinnerung leider nicht behaupten konnte. Schon erlebte sie erneut die schrecklichen Minuten, die Nackenhaare stellten sich auf, als sie sich daran erinnerte, wie sie zu Boden gegangen war und Angst hatte, von den vielen Kerlen zertrampelt zu werden. Der Tritt in die Rippen war noch allgegenwärtig und ein Hämatom hatte sich schon gebildet. Bevor die Panik sie erneut befallen konnte, schob sich unvermittelt ein graues Augenpaar vor ihr geistiges Auge und in Lara stieg ein wohliges Gefühl auf, als sie sich an seinen warmen Blick erinnerte, als er sie freundlich angesehen hatte. Nur eine Sekunde später riss sie hastig die Augen auf und lehnte sich ergeben an die Bettkante.
„Lara, du wirst jetzt ganz sicherlich nicht anfangen, von dem Arschloch zu schwärmen. Er hat deinen Traum zerstört“, wies sie sich halblaut zurecht und schämte sich im selben Augenblick für ihre Selbstgespräche.
Immerhin musste sie ihm zugutehalten, dass er sie gerettet hatte. Ganz sicherlich wäre sie ohne sein Zutun nicht so glimpflich aus der misslichen Lage herausgekommen.
Umständlich stand sie auf, um sich im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand zu betrachten. Sachte strich sie sich über das Veilchen, das sich schon ordentlich verfärbte. Das würde sie morgen irgendwie kaschieren müssen, wenn sie zur Bank ging. Es machte sicherlich keinen guten Eindruck, wenn sie so auftauchte.
Als sie sich erneut ertappte, wie ihre Gedanken zu dem bärtigen Typen wanderten, schüttelte sie vehement den Kopf und holte ihr Handy. Sie musste sich jetzt ganz dringend ablenken, bevor ihr dieser Typ, dem sie hoffentlich nie wieder begegnete, außer vielleicht vor Gericht, weiterhin im Kopf herumspukte.
„Lara. Wie schön von dir zu hören“, schrie Mila ihr durch den Hörer entgegen. Die freudige Stimme ihrer besten Freundin hob ihre Stimmung gleich gewaltig.
„Und ich freue ich erst. Mila, ich vermisse dich so“, stieß sie inbrünstig aus.
Kurzzeitig war in der Leitung nichts zu hören, sodass Lara schon befürchtete, sie wäre abgebrochen, da fragte Mila leise: „Was ist denn los? Geht es dir nicht gut?“ Die Stimme ihrer Freundin klang angespannt. Prima, sie hatten erst wenige Sätze gewechselt und Mila hatte schon bemerkt, dass sie durch den Wind war. Anscheinend war sie im Verstellen nicht sonderlich gut.
Sie seufzte lang anhaltend und sagte dann ergeben: „Dir kann ich wohl nichts vormachen. Eigentlich wollte ich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.“
„Lara! Was ist los?“, fragte Mila streng.
„Ich hatte heute im Café ungebetenen Besuch zweier Motorradgangs. Und was soll ich sagen? Sie haben bleibenden Eindruck hinterlassen.“
„Sorry, Süße. Aber ich verstehe gerade gar nichts. Aber Motorradgang klingt nach Ärger.“
Ihre Stimme klang beunruhigt und Laras Magen schlug ein paar Purzelbäume, als ihr aufging, was sich Mila vielleicht für ein Schreckensszenario ausmalte.
„Sie haben mein Café kurz und kleingeschlagen. Alles ist kaputt. Aber mir ist nichts passiert. Und Sonja auch nicht. Ausgerechnet heute hatte sie mir ausgeholfen. Du kannst dir bestimmt vorstellen, wie es ihr jetzt geht.“ Sie schluckte ein paarmal, um den rasch anwachsenden Kloß im Hals loszuwerden. Trotzdem erdrückte sie ihr schlechtes Gewissen gerade.
„Ach Lara. Das tut mir schrecklich leid. Warum haben sie das getan? Was müssen das für Arschlöcher sein? Wie geht’s dir?“
„Ja, ich bin okay. Es wäre gar nichts passiert, wenn nicht noch eine zweite Gang aufgetaucht wäre. Sie waren wohl nicht die besten Freunde und dann entstand eine Schlägerei, weil mir einer ein Veilchen verpasst hatte. Einer der Kerle hat mich dann geschnappt und aus der Gefahrenzone gebracht, als ich zwischen die Fronten geriet. “
„Was?! Du wurdest geschlagen? Was sind das denn für Feiglinge?“ Mila wurde zunehmend wütender und sie sorgte sich ernstlich, dass die Aufregung für ihre Freundin zu viel war.
„Mila, reg dich bitte nicht so auf. Sonst erzähle ich dir nichts mehr. Es tut mir leid. Ich habe nicht nachgedacht. Für dich muss die Vorstellung unerträglich sein. Aber ich komme schon drüber hinweg. Jetzt muss ich erst mal zusehen, dass Sonja wieder auf die Beine kommt“
„Sorry, ich bin okay, aber für dich tut es mir so leid. So etwas soll keiner erleben müssen. Die arme Sonja, hoffentlich fängt sie sich bald wieder.“
Plötzlich wurde Milas Stimme leise, als ob sie den Hörer zuhielt und gleich darauf ertönte Leos dunkle Stimme: „Lara, was ist passiert? Wie geht es dir und Sonja?“ Er klang hart und unnachgiebig, aber Lara wusste, dass er nur seine Sorge versteckte.
„Sonja geht es gut. Ich habe sie aus dem Sichtfeld der Jungs gebracht. Sie hat nicht allzu viel mitbekommen. Deine Schwester ist stark, sie packt das. Aber du könntest sie morgen mal anrufen. Das tut ihr bestimmt gut. Jetzt schläft sie schon.“
Nachdem sie Leo noch einmal ausführlich berichten musste, was genau passiert war, gab er etwas beruhigter Mila ihr Handy zurück und versprach, ihren Rat zu befolgen.
„Sorry, Leo hat mir einfach das Handy weggenommen.“
Lara hörte ihre Freundin lächeln, anscheinend fand sie es süß, dass er sich um seine Schwester und Lara sorgte.
Sie versprach ihrer Freundin, sie auf dem Laufenden zu halten. Immerhin hing ihre Zukunft von der Bank ab. Wenn sie keinen weiteren Kredit bewilligt bekäme, müsste sie ihren Traum begraben. Ihre Rücklagen waren zu gering und ihre Familie konnte ihr auch nicht aushelfen. Ihren Vater kannte sie überhaupt nicht und ihre Mutter hielt sich auch mehr schlecht als recht über Wasser.
Müde legte sie das Handy auf die Kommode, straffte nach einem kurzen Augenblick resolut die Schulter und beschloss ins Bett zu gehen, um halbwegs ausgeschlafen zu sein.